Shí Du heißt ein für chinesische Verhältnisse
kleiner Ort ungefähr 90 Kilometer südwestlich von Beijing (oder zumindest von
dessen Zentrum). Der Ort heißt so, weil man, will man ihn erreichen, den Fluß …
zehn Mal (shí) überqueren (du) muss. Im Laufe der Jahrtausende hat sich der
Fluss tief in den Berg gefressen und eine ähnlich Landschaft hinterlassen, wie
man sie von den Canyons der USA kennt. Das perfekte Wochenendreiseziel!
Bis ich endlich im richtigen Bus sitze vergehen anderthalb Stunden (mir wurde aber immer nett weitergeholfen, ich wurde immer zur nächsten und zur nächsten Straßenkreuzung geschickt…). Bis ich dann an Ort und Stelle bin weitere drei Stunden. Pünktlich zur Mittagshitze um 12 Uhr werde ich aus dem Bus geworfen. Am 7. Übergang wohlbemerkt – auf Empfehlung meines Reiseführers, der mir (und allen anderen Lesern), die Hängebrücke und den anschließenden Rundweg auf Wärmste empfahl. Warm jedenfalls war es schon mal…
Auch die Brücke finde ich nach einigem Fragen.
200 Meter lang, dafür aber nur 5 Meter hoch, spannt sie sich über den Fluss. Immerhin
kann so auch bei einem Einbrechen der nicht wirklich neuen Bretter nichts
passieren.
Ich habe inzwischen meinen Pulli als Kopftuch
umfunktioniert (ich brauche dringend eine Kappe – die chinesischen Touristen
halten mich für komplett verrückt!) und stiefele los. Doch nachdem der Rundweg
in beide Richtungen nach nur wenigen hundert Metern im Sande verläuft, gebe ich
wieder auf. Der gemeine Chinese hat das Wandern noch nicht für sich entdeckt. Aber
vielleicht ist auch noch mehr dahinter: Vielleicht will die chinesische
Regierung von Anfang an, die Einzigartigkeit von Maos Langem Marsch sichern.
Wär ja schön blöd, wenn dann plötzlich jeder so was machen würde…
Meine These wird dann auf dem Weg zum 10.
Übergang entlang der Straße bestätigt. Ständig überholen mich kleine
Elektrofahrzeuge, auf deren überdachten Rückbänken, die armen Großstädter die
Hitze ertragend eine Rundfahrt über sich ergehen lassen. Gehen, nein danke… Nachdem
ich lange genug so dahin gestiefelt bin, reicht es mir. Ich halte eines der
Gefährte an und werde für umgerechnet 70 Cent mitgenommen.
Schön ist es auf dem Gipfel ja schon... |
Das Dorf Shi Du ist ein wahrer
Touristentummelplatz. Bungeejumping, Bötchen fahren und jede Menge kleine
Stände bieten den Städtern alles, was das Herz begehrt. Auf den Berg kann man
natürlich nicht hochwandern. Ich nehme also die Seilbahn. Oben angekommen, muss
man dann doch noch einige Meter gehen um zum Gipfel zu gelangen. Die Reihen
lichten sich.
...wenn nur das bescheuerte Murmelhörnchen nicht wäre!!! |
Schließlich stehe ich oben und habe einen 360-Grad-Blick
auf die mich umgebende Karstlandschaft. Bei dem Anblick steht einem sofort vor
Augen, welche Kräfte der Natur hier am Werk waren. Über Jahrtausende hinweg hat
sich der Fluss immer tiefer in die Berge hineingegraben und diese als
zerklüftete Felsen hinterlassen. An den unterschiedlichen Gesteinsschichten
steht einem die Vergangenheit direkt vor Augen. So richtig große Gedanken
können aber auch hier nicht aufkommen. Dafür sorgt eine Mischung aus Murmeltier und Eichhörnchen. Aus Plastik steht es da, in
seinem Bauch ein Dutzend Löcher aus denen laut der Beat chinesischer
Technomusik dröhnt. Ich hasse das Murmelhörnchen… Bestimmt handelt es sich dabei
auch um eine Verschwörung der Regierung – die großen Gedanken von Gut und Böse,
die einem bei dem Anblick der Landschaft vielleicht kommen, werden so
zweifellos abgewürgt. Durch das Würge-Murmelhörnchen.
Auf meinem Weg nach unten finde ich dann doch noch eine Wandermöglichkeit. Wie im ganzen Land finden auch an der Bergstation der Seilbahn Bauarbeiten statt. Die Arbeiter kommen aber natürlich nicht in den Genuss der Seilbahn selbst – wo käme man da hin. Nein, sie müssen einen kleinen Trampelpfad nehmen, der sich den Berg hinabwindet. Dem folge ich dann auch. Und habe Glück, denn er mündet in eine herrliche kleine Straße, die in sanften Schwingungen durch die Terassenlandschaft des Berges führt. Da hab ich sie dann doch noch, meine Wanderung.
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