Sonntag, 22. April 2012

Von Wanderversuchen und Murmelhörnchen

Shí Du heißt ein für chinesische Verhältnisse kleiner Ort ungefähr 90 Kilometer südwestlich von Beijing (oder zumindest von dessen Zentrum). Der Ort heißt so, weil man, will man ihn erreichen, den Fluß … zehn Mal (shí) überqueren (du) muss. Im Laufe der Jahrtausende hat sich der Fluss tief in den Berg gefressen und eine ähnlich Landschaft hinterlassen, wie man sie von den Canyons der USA kennt. Das perfekte Wochenendreiseziel!


Bis ich endlich im richtigen Bus sitze vergehen anderthalb Stunden (mir wurde aber immer nett weitergeholfen, ich wurde immer zur nächsten und zur nächsten Straßenkreuzung geschickt…). Bis ich dann an Ort und Stelle bin weitere drei Stunden. Pünktlich zur Mittagshitze um 12 Uhr werde ich aus dem Bus geworfen. Am 7. Übergang wohlbemerkt – auf Empfehlung meines Reiseführers, der mir (und allen anderen Lesern), die Hängebrücke und den anschließenden Rundweg auf Wärmste empfahl. Warm jedenfalls war es schon mal…

Auch die Brücke finde ich nach einigem Fragen. 200 Meter lang, dafür aber nur 5 Meter hoch, spannt sie sich über den Fluss. Immerhin kann so auch bei einem Einbrechen der nicht wirklich neuen Bretter nichts passieren.

Ich habe inzwischen meinen Pulli als Kopftuch umfunktioniert (ich brauche dringend eine Kappe – die chinesischen Touristen halten mich für komplett verrückt!) und stiefele los. Doch nachdem der Rundweg in beide Richtungen nach nur wenigen hundert Metern im Sande verläuft, gebe ich wieder auf. Der gemeine Chinese hat das Wandern noch nicht für sich entdeckt. Aber vielleicht ist auch noch mehr dahinter: Vielleicht will die chinesische Regierung von Anfang an, die Einzigartigkeit von Maos Langem Marsch sichern. Wär ja schön blöd, wenn dann plötzlich jeder so was machen würde… 

Meine These wird dann auf dem Weg zum 10. Übergang entlang der Straße bestätigt. Ständig überholen mich kleine Elektrofahrzeuge, auf deren überdachten Rückbänken, die armen Großstädter die Hitze ertragend eine Rundfahrt über sich ergehen lassen. Gehen, nein danke… Nachdem ich lange genug so dahin gestiefelt bin, reicht es mir. Ich halte eines der Gefährte an und werde für umgerechnet 70 Cent mitgenommen.
Schön ist es auf dem Gipfel ja schon...
Das Dorf Shi Du ist ein wahrer Touristentummelplatz. Bungeejumping, Bötchen fahren und jede Menge kleine Stände bieten den Städtern alles, was das Herz begehrt. Auf den Berg kann man natürlich nicht hochwandern. Ich nehme also die Seilbahn. Oben angekommen, muss man dann doch noch einige Meter gehen um zum Gipfel zu gelangen. Die Reihen lichten sich.

...wenn nur das bescheuerte Murmelhörnchen
nicht wäre!!!
Schließlich stehe ich oben und habe einen 360-Grad-Blick auf die mich umgebende Karstlandschaft. Bei dem Anblick steht einem sofort vor Augen, welche Kräfte der Natur hier am Werk waren. Über Jahrtausende hinweg hat sich der Fluss immer tiefer in die Berge hineingegraben und diese als zerklüftete Felsen hinterlassen. An den unterschiedlichen Gesteinsschichten steht einem die Vergangenheit direkt vor Augen. So richtig große Gedanken können aber auch hier nicht aufkommen. Dafür sorgt eine Mischung aus Murmeltier und Eichhörnchen. Aus Plastik steht es da, in seinem Bauch ein Dutzend Löcher aus denen laut der Beat chinesischer Technomusik dröhnt. Ich hasse das Murmelhörnchen… Bestimmt handelt es sich dabei auch um eine Verschwörung der Regierung – die großen Gedanken von Gut und Böse, die einem bei dem Anblick der Landschaft vielleicht kommen, werden so zweifellos abgewürgt. Durch das Würge-Murmelhörnchen. 

Auf meinem Weg nach unten finde ich dann doch noch eine Wandermöglichkeit. Wie im ganzen Land finden auch an der Bergstation der Seilbahn Bauarbeiten statt. Die Arbeiter kommen aber natürlich nicht in den Genuss der Seilbahn selbst – wo käme man da hin. Nein, sie müssen einen kleinen Trampelpfad nehmen, der sich den Berg hinabwindet. Dem folge ich dann auch. Und habe Glück, denn er mündet in eine herrliche kleine Straße, die in sanften Schwingungen durch die Terassenlandschaft des Berges führt. Da hab ich sie dann doch noch, meine Wanderung.


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